8/06/2008

The Sluts, Dennis Cooper

Derb? Verstörend? Noch mehr beklemmende Brutalität?

Ja, schon, aber noch mehr ist zu vermerken: The Sluts kommt ohne Autoren aus - er besteht "nur" aus den Beiträgen der Nutzer einer Internetseite. Jene Seite hat den Zweck, (männliche) Prostituierte zu bewerten und sich in Foren über die Qualitäten der Dienstleister auszutauschen beziehungsweise neue Geschäftsverbindungen zu knüpfen.

Ah, Subkulturtourismus, mag man denken. Doch weit gefehlt: schnell wird über die Beiträge der Nutzer eine Geschichte erzählt, und zwar die vom grazil-debilen Brad und Brian, dem Monster. Ersterer ist das minderjährige Opfer von letzterem ultra-brutalen Zuhälter. Doch so einfach sind die Dinge nicht, denn hier schreibt nicht Dennis Cooper sondern Dutzende von Zivilisten bauen kollektiv an einem großen Geschichten-Gebilde. Dieser Pulk ist auch in unklare Fehden verstrickt und teils werden Identitäten getürkt und angezweifelt. So kann sich Cooper inhaltlich einiges trauen. Einer der Schreiber beschreibt in ernüchternder Klarheit die Macht, die seine HIV-Infektion ihm gibt: anstatt das Leben in Frauen zu pflanzen kann er den Tod in Männer pflanzen. Und das mag er. Er hat einen demographischen Effekt und fühlt sich dadurch super. Meint er das ernst? Stimmt der Name unter diesem posting? Und will er Brad später wirklich für ein finales Snuff-Video mieten?

Obacht, drollige Metapher: bei der Lektüre wiegen die virtuellen Stimmen im Chor hin und her wie eine Wiese voller Gestrüpp mit undurchsichtigem Bodenbewuchs. Mal glaubt man jenem, dann diesem Sprecher: wie bei handfester Kriminalliteratur bleibt die Konstruktion der vermuteten Wahrheit in ihrer Prozesshaftigkeit gefangen.

The Sluts zwingt den Leser, über die Definition und den Umfang von Prostitution nachzudenken, und das keinesfalls im preiswert-pornographischen Sinn. Was tun Menschen für wen? Welchen Sinn hat es für die Lügner auf der Internetseite, Unwahres zu verbreiten? Wollen sie nur Aufmerksamkeit? Ist das alles nur Lärm? Und wenn ja, warum verbreitet man den? Ist Dennis Cooper selbst hier Dienstleister oder Käufer und was ist dann der Leser? (Es gibt einige umgangssprachliche Verwendungen des Wortes "to fuck" um diese Machtrelationen zu umschreiben.) Ist die Lüge an sich eher Ausnahme oder Standard in der Welt hinter Monitoren?

Ein großes kleines Buch. Wer sich an infernalischen Beschreibungen nicht weiter stört und (mal wieder) Bret Easton Ellis' Werke schafft und mag, dem sei dieser kleine Kommentar zur schönen neuen Informationsgesellschaft arg ans Herzlein gelegt.

Hier gehts zur (echten?) www-Präsenz des Autoren.

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